April/Mai 2023

Das eigene Tempo finden


Wir sagen «tempo, tempo!», wenn wir schnell sein wollen oder müssen. Wir brauchen den Begriff in dem Moment, wenn wir keine Zeit haben. In dem Fall ist «Tempo» mit Eile oder mit Hetze konnotiert.

Wir streben den kürzesten Weg von A nach B an, lassen alles beiseite, was diesen Weg stört oder ihn unterbricht.

Das kann in manch einer brenzligen Situation höchst nützlich sein. Wenn wir zu spät dran sind und den Zug erwischen sollen zum Beispiel. 

 

Nehmen wir unseren Blick zurück und gehen zu den Wurzeln des Wortes. 

«Tempus» bedeutet im Lateinischen «Zeit». Es ist die Zeitdauer, die wir für die Ausführung einer Aktion brauchen. Umgangssprachlich ist es die Geschwindigkeit wie wir etwas tun, wie etwas abläuft, wie wir uns bewegen und wie wir etwas aufnehmen, um dieses auch verstehen zu können.

 

Moshé Feldenkrais sagt dazu: «Zeit ist die wichtigste Komponente des Lernvorgangs. Damit jede Person etwas lernt, muss für jede Person genügend Zeit vorhanden sein, um die Idee einer Bewegung zu erfassen und die Ruhe zu finden, sich auf eine neue Situation einlassen zu können. Es soll genügend Zeit vorhanden sein, um sich wahrzunehmen und sich zu organisieren. Niemand lernt, wenn man sich beeilen oder anstrengen muss.»

 

Wenn wir Neues entdecken und lernen möchten, tun wir gut daran, uns die Zeit zuzugestehen, die wir dafür brauchen. Die günstigste Voraussetzung ist diejenige der Komfortzone, die vertraute Umgebung und unser ungestörtes Wohlsein.

 

Wir werden in den Feldenkrais-Stunden aufgefordert, uns «langsam» zu bewegen. Damit ist die Langsamkeit gemeint, in der wir verfolgen können was wir tun, wo unsere Gedanken frei sind und wo wir beobachten können wie wir etwas tun.

Da wir Menschen verschiedene Assoziationen zu «Langsamkeit» haben, kann das für jede oder jeden eine andere Geschwindigkeit bedeuten; für den einen etwas schneller, für die andere langsamer; weder übereilt, noch harzig, auch nicht mühsam oder nebensächlich.

Wir finden auf diese Weise zu unserer eigenen Langsamkeit, finden in der Folge Wege, diese zu variieren – und vielleicht noch langsamer zu bewegen – und kommen Schritt für Schritt zu Einfachheit und Leichtigkeit. 

 

Fragen wir uns doch zu allerletzt auch, ob es denn in unserem Alltag wirklich nötig ist, dauernd schnell zu sein, uns dauernd ausserhalb unserer Möglichkeiten zu bewegen. Ist es doch eine höchst unkomfortable, einschränkende und erkenntnislose Daseinsform! 

 

Oder könnten wir uns erlauben, öfter «langsam» zu sein, will heissen, uns in unserem eigenen Tempo zu bewegen und dabei mehr von uns und unserer Umgebung mitzubekommen. Legen wir also den Schalter öfter mal um, variieren unsere Tempi und entdecken dabei, dass wir offener und kreativer werden.